Aus dem Vorhandenen die Konsequenz ziehen
Dass Ethnien, Mentalitäten und ihr Streben nach kultureller wie religiöser Homogenität in historischen Rückblicken oft überschätzt wurden und werden, sagt mehr über die Rückblickenden als über das Betrachtete aus. Der einfache Verweis auf rein ethnische bzw. religiöse Ursachen des Bosnienkrieges ist angesichts der Jahrzehnte vor 1990 wenig plausibel. Erhebungen bis weit in die Achtziger Jahre hinein zeigten stets, dass die ethnische Zugehörigkeit für die Mehrzahl der Jugoslaw:innen weder die einzige, noch die bedeutendste persönliche Identitätsgrundlage war. Auch die Religionszugehörigkeit spielte allenfalls eine sekundäre Rolle. Dass katholische Kroaten, orthodoxe Serben und bosniakische Muslime nach dem Zweiten Weltkrieg im Vielvölkerstaat sehr gut zusammenleben konnten, auch zum Beispiel als Ehepaare und Eltern, wurde in Bosnien-Herzegowina fast zu einem „Aushängeschild”. Dass diesem Landesteil der Ruf vorauseilte, das ganze Jugoslawien im Kleinen zu sein, verstärkte eher das Selbstwertgefühl und einen gewissen Stolz.
Viele der Initiator:innen, Mitwirkenden, Wettbewerbsteilnehmer:innen und Besucher:innen des BIHLAFF kennen dieses Gefühl aus eigenem Erleben oder als nachwirkende Erzählung aus ihrem Umfeld. Was alle weiterhin darin bestärkt, wenigstens im Rahmen unseres Festivals eine friedliche Vielstimmigkeit künstlerischer wie politischer Positionen zu ermöglichen und auch Gegensätze fruchtbar zu machen. Insbesondere solche, die ganz real Akteur:innen aller hier genannten nationalen und ethnischen Provenienzen unter dem gemeinsamen Dach von Filmideen, -projekten und -produktionen zusammenführt. Für die Stärkung und Zusammenführung dieser immerhin vorhandenen Gleichgesinnten kann es gar nicht genug Orte geben.
Auch viele Filme, deren Plots nicht explizit vom Bosnienkrieg handeln, handeln implizit umso mehr von ihm. Es geht um Langzeitfolgen eines brutalen Kriegs zwischen Nachbarn, die sich nicht nur vor dem Krieg kannten – und während des Kriegs neu kennenlernten –, sondern die sich auch heute immer noch begegnen. Und wissen, wo sie wohnen. Dass ihre Kinder Karriere gemacht haben. Dass der Krieg für die einen trotz ihrer bekannten Täterschaft kaum Folgen hatte, außer vielleicht dem Umzug in einen anderen Teil der Stadt. Für die anderen, die Opfer, entsteht dagegen das Trauma jedesmal, wenn sie die Täter sehen, neu. Die Absurdität dieser Situation wird so schließlich selbst zum Trauma.
Zugleich gibt es Filme aus dem Westbalkan, die am Filmmarkt und bei der Förderung scheitern, weil sie die Erwartungshaltung "Filme vom Krieg" nicht bedienen. Obwohl sie das künstlerische Potenzial von Früh- oder Erstlingswerken späterer Filmikonen haben. Unser Festival hat ausdrücklich den Anspruch, hier Blockaden zu durchbrechen. Was auch an einigen Preisträger:innen der zurückliegenden Jahre sichtbar wurde.